Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub hat sich vor allem auch 2021 im Gesundheitswesen als nachhaltiger Motor erwiesen. Viele Anwendungen, die uns den Alltag erleichtern, sind erst durch die Medizintechnik,- Software- und Infrastrukturanbieter möglich geworden.
Egal ob es um den Überblick über verfügbare Intensivbetten, die Anzahl der täglichen Corona-Testungen oder die Zahl der Genesenen nach einer COVID-19-Infektion geht, einheitliche Datenstandards sind ein wichtiger Faktor bei der Bewältigung der Corona-Krise. Es handelt sich dabei um Daten, die in Echtzeit jederzeit abrufbar zur Verfügung stehen müssen. Dieser Aspekt gewinnt vor allem mit dem Impffortschritt weltweit zunehmend an Bedeutung und ist längst kein rein österreichisches Thema mehr.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen birgt enormes Potenzial beim Meistern vieler Herausforderungen in der Branche – und das nicht nur angesichts der Corona-Pandemie: Gesundheitsversorger verbessern ihre Ergebnisse und sparen gleichzeitig Ressourcen, Patienten erhalten mehr Kontrolle und Selbstbestimmung über ihre Gesundheit. Der wichtigste Ansatzpunkt zur Erreichung dieser Ziele ist die bessere Nutzung und Verarbeitung der unglaublich schnell wachsenden Menge an Gesundheitsdaten – ob Bilddaten, Laborwerte, pathologische Befunde oder Protokolle, die heute schon vorhanden sind. Eine wichtige Grundlage dafür ist die Verwendung einheitlicher, internationaler Datenstandards im Gesundheitswesen.
Wie digital sind wir wirklich?
Dr. Manfred Müllner analysierte in seiner Keynote die Fragen, wie digital wir wirklich sind, welche Hindernisse wir überwinden müssen, welche Lösungsansätze sich anbieten und was unsere bisherigen Lessons Learned aus der Pandemie sind. Eines vorab: es liegt nicht an den technischen Schnittstellen und Standards. Die Hindernisse sind Alleingänge der einzelnen Partner im Gesundheitswesen und viele Finanzierungsströme. Die Bundesregierung müsste eigentlich eine koordinierende Rolle übernehmen. Leider hat diese mit einer fehlenden Priorisierung und der Zulassung von Systementwicklungen, welche nicht effizient in unsere bestehende eHealth Infrastruktur ELGA eingebettet sind, zu mehr Herausforderungen beigetragen (z.B. eigenes GDA Portal), als Probleme gelöst und damit nicht nur die Patient*innen verwirrt. Ein weiteres Beispiel findet sich bei der Entwicklung von eMedikation, dem eRezept und jetzt der Notwendigkeit dieses Thema ein drittes Mal für den internationalen Austausch im Rahmen der ePrescription zu entwickeln.
Der Wildwuchs an Finanzierungsströmen bzw. eine Deckelung der ELGA-Finanzierung in Höhe von € 10 Mio. macht die Situation nicht leichter. Hier muss ganz klar ein Umdenken stattfinden. „Eine Gesundheitstelematikinfrastruktur darf in der Wichtigkeit nicht hinter dem Straßenbau oder dem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel liegen,“ richtet Müllner seinen Appell an die Politik und nennt die Lösungen: Standards nutzen, Voraussetzungen für Digitalisierung schaffen, „mehr miteinander“ und Finanzierung von Projekten sicherstellen. „Mit der ELGA-Infrastruktur haben wir eine geeignete Grundlage für öffentliche und zukünftig auch mehr private eHealth-Services geschaffen und in Europa eine Vorreiterrolle eingenommen. Es gilt nun, diese Infrastruktur weiterzuentwickeln, zu öffnen und zukunftsfit zu machen“, betont Müllner. Wesentlich dabei ist, IHE als Standard im Gesundheitswesen zu nutzen und öffentliche Schnittstellen zu schaffen, um einen Datenaustausch zu gewährleisten. Damit können Doppelgleisigkeiten verhindert werden. Einige positive Beispiele, wie Herzmobil in Tirol oder die Nutzung der ELGA Infrastruktur auch für den regionalen Bild- und Befunddatenaustausch zeigen, wie das umgesetzt werden kann.
Nicht zuletzt braucht es ein mehr „miteinander reden“ und keine Alleingänge der einzelnen Partner. Gerade das Beispiel des eImpfpasses hat zeigt, wie professionell und schnell Projekte umgesetzt werden können, wenn alle Partner in einem Boot sitzen und die Finanzierung gesichert ist. Die Lessons Learned können damit ganz einfach zusammengefasst werden: Regeln praxistauglich machen, Projekte ordentlich finanzieren und Anforderungen aus der Praxis folgen. Für Manfred Müllner ist klar, dass „es nun gilt, den Digitalisierungsschwung aus der Pandemie mitzunehmen, nachhaltig zu nutzen und die ELGA-Infrastruktur für weitere Anwendungen zukunftsfit zu machen“.
Das Internationale Patient Summary (IPS) und seine Vorteile
DI Jürgen Brandstätter erläuterte die Funktion und die Vorteile des International Patient Summary (IPS). Dieser entstand durch die Zusammenarbeit von IHE, HL7, CEN, ISO und SNOMED und führt alle wesentlichen Informationen des Patienten (Medikation, Allergien, Impfungen etc.) aus bestehenden Informationsquellen zusammen. „Im Falle eines Krankenhausaufenthalts, Erstkontakts oder Notfalls müssen die Daten nicht mehr erfasst, sondern nur noch abgerufen werden. Das bringt für alle Beteiligte erhebliche Vorteile, da Zeit gespart wird (im Falle eines Notfalls sogar „lebenswichtige“ Zeit) und Informationen vollständig zur Verfügung stehen“, hebt Brandstätter hervor und fügt hinzu, dass das Projekt in Österreich leider in den nächsten Jahren keine Priorität hat, obwohl die technischen Voraussetzungen dafür bereits gegeben sind. Auch die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Datenaustausches sind ein großes Plus. Erstmalig wurde dieses Thema auch beim G7 Health Ministers‘ Meeting im Juni 2021 aufgegriffen und unterstreicht seine Wichtigkeit.
IHE beim Aufnahme- und Entlassungsmanagement
„Gerade an Stellen, bei denen Versorgungs- und Kompetenzgrenzen nicht rein medizinisch, aber sehr wohl gesamtversorgungsmäßig zusammentreffen, gibt es noch einigen Aufholbedarf“, führt Mag. Herwig Loidl ins nächste Thema ein „und dass, obwohl es eine eigene Bundesleitlinie dafür gibt“. Die Problematiken sind auch keine unbekannten: keine, zu viele, unstrukturierte oder interdisziplinäre Daten sowie Prozesslöcher. Zu letzterem zählen vor allem fehlende Synergien im Gesundheits- und Sozialversicherungsbereich sowie zum Berichts- und Meldewesen.
„Hier bietet sich IHE ebenfalls als Plattform und Rahmen an, der sowohl technische aber auch Prozess- und Interoperabilitätsthemen abdeckt“, unterstreicht Dr. Alexander Kollmann die Vorteile einer Umsetzung mit IHE und richtet damit auch einen Appell an die Politik, Anreizsysteme für die Nutzung der bestehenden Strukturen und Standards zu schaffen.
ELGA 2022 – was bringt die Zukunft?
„ELGA stellt als generische Infrastruktur, die Infrastruktur für ELGA und eHealth-Anwendungen in Österreich dar“, betont Dr. Günter Rauchegger. Ausgehend von der Ist-Situation zeigt Rauchegger einen Blick in die Zukunft auf, die im eHealth-Zielbild 2030 beschrieben und in der ELGA Generalversammlung im Juli 2021 beschlossen wurde. Ein wesentliches Kernstück stellt die Weiterentwicklung des eImpfpasses dar. Zahlreiche Funktionen sollen auch hier Vorteile für die Patient*innen bringen, z.B. durch eine Erinnerung an die nächste Impfung. Neu ist ebenfalls, dass die Patientenverfügung in der ELGA zur Verfügung gestellt wird. An einer Verordnung und einem Konzept dazu wird gerade gearbeitet.
Der grenzüberschreitende Austausch (MyHealth @ EU) von Verschreibungen (ePrescription) und Patientenkurzakten (Patient Summary) soll bis 2025 schrittweise in 25 EU Ländern eingeführt und zu einem späteren Zeitpunkt um weitere Dokumente (z.B. Laborbefunde und Bilddaten) erweitert werden. Eine weiterte Diagnose- und Leistungsdokumentation runden die Zukunftspläne von ELGA ab. „Mit der ELGA Infrastruktur haben wir eine starke Basis für zukünftige Funktionen geschaffen, die es nun auszubauen gilt. Leider scheitert es oftmals an der Finanzierung von Projekten“, so Rauchegger.